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#TZExpertise

Quantencomputing: Zukunftsthema mit Systemrelevanz

Über die Potenziale und Hindernisse rund um Quantencomputer sprach #TZExpertise mit Markus Wilkens, Senior Technologieberater im VDI Technologiezentrum und seitens des TZ Projektleiter bei der „Quantum Flagship“-Initiative.
 

Wie lässt sich Quantencomputing in wenigen Sätzen erklären?

Während klassische Computer oder Smartphones binär arbeiten, also mit zwei Zuständen wie etwa 1 und 0, können die Recheneinheiten eines Quantencomputers – die Quanten-Bits oder kurz Qubits – beliebige Verhältnisse dieser Zustände annehmen – und damit praktisch mehrere Werte gleichzeitig. Man spricht von Überlagerung. Zudem sind die Qubits miteinander verschränkt. Deshalb wirken sich Maschinenbefehle gleichzeitig auf all diese Werte aus. Auf diese Weise können Quantencomputer Rechenschritte parallel und damit meist deutlich schneller lösen als dies bei herkömmlichen Computern der Fall wäre, die Aufgaben nur nacheinander abarbeiten können.   

In welchen Bereichen liegen die größten Potenziale für den Einsatz von Quantencomputing?

Ein gutes Beispiel ist die Entwicklung von Medikamenten, bei der mittels Quantencomputing komplexe Simulationen bis auf Molekülebene durchgeführt werden könnten, was neuartige Therapien ermöglichen könnte. Im Mobilitätsbereich könnten Quantencomputer wiederum helfen, Verkehrsströme zu analysieren und vorauszusagen, was neue Möglichkeiten schafft, diese zu steuern, um damit beispielsweise Staus zu vermeiden. Ein weiteres großes potenzielles Anwendungsfeld ist der Finanzmarkt. 

Noch ist das alles noch Zukunftsmusik, denn bisher gibt es noch keine Quantencomputer, die alltagstauglich sind. Große „Baustellen“ gibt es etwa noch bei der Stabilität der Qubits und in der Fehlerkorrektur. In dieser Dekade werden wir vermutlich noch nicht den großen Durchbruch erleben. 

Relativ sicher lässt sich aber schon jetzt sagen: Quantencomputer werden unsere klassischen Computer nicht 1:1 ersetzen – zumindest nicht in der Breite. Denn Quantencomputer eignen sich am besten für spezielle Fragestellungen, für die sie zukünftig cloudbasiert hinzugezogen werden könnten, ähnlich wie es heute schon bei Hochleistungsrechnern üblich ist. 

International scheint geradezu ein technologisches Wettrennen um das Thema entbrannt zu sein – was sind hier die Hintergründe?

Die Quantentechnologien und insbesondere das Quantencomputing werden von den führenden Wirtschaftsregionen der Welt als absolut wettbewerbs-, wenn nicht sogar systemrelevant eingestuft. Dabei geht es auch um sicherheitspolitische Aspekte: Mit der Rechenleistung eines funktionsfähigen Quantencomputers könnten derzeitige digitale Verschlüsselungen von Daten und Kommunikation geknackt werden.  

Darüber hinaus hat man nicht zuletzt durch die Erfahrungen mit Covid-19 und der derzeitigen geopolitische Lage gemerkt, wie gefährlich es sein kann, bei kritischen Komponenten und Systemen von anderen Regionen abhängig zu sein. Das große Ziel der sogenannten Technologiesouveränität hat deshalb in Europa höchste Priorität. Was die wissenschaftliche Basis dafür angeht, hat Europa im Quantenumfeld gute Chancen - zwei der drei aktuellen Physik-Nobelpreisträger sind Quantenphysiker aus Europa! Bei der Umsetzung in reale Produkte müssen wir aber noch besser und vor allem schneller werden.

Wie versucht man hierzulande und in Europa die Entwicklung weiter voranzubringen?

Kein Land in der EU kann die Herausforderungen allein lösen, dies kann nur europäisch passieren. Ein zentraler Vorstoß in diese Richtung ist die Initiative Quantum Flagship, die wir als VDI Technologiezentrum unterstützen. Diese bringt Forschende und Unternehmen aus Deutschland und weiteren Ländern zusammen, die gemeinsam in Projekten gezielt daran arbeiten, das Thema Quantencomputing in die industrielle Umsetzung zu bringen. 

Daneben versuchen wir innerhalb der Initiative, die Rahmenbedingungen in Europa für Innovationen und deren Umsetzung zu verbessern. Dafür arbeiten wir eng mit dem Europäischen Patentamt oder Standardisierungseinrichtungen wie CEN/CENELEC oder DIN zusammen. 

Anstrengungen in diese Richtung gibt es auch von politischer Ebene, so will die EU mit dem groß angelegten „Chips Act“ die Entwicklung und den Bau von Chipwerken und die Entwicklung von „Quantenchips“ in Europa vorantreiben.

Das klingt nach einem großen Wachstumsfeld – wie sieht es daher mit den Karriereperspektiven aus?

Wer heute oder in absehbarer Zukunft einen Studienschwerpunkt im Bereich Quantentechnologien legt, hat faktisch eine Jobgarantie. Es ist ein aufstrebendes Feld, in dem branchen- und bereichsübergreifend händeringend Fachkräfte gesucht werden.  

Bisher ist es allerdings gar nicht so einfach herauszufinden, wo man eine entsprechende Ausbildung bekommen kann und welche Qualifikationen genau gebraucht werden. Deshalb haben wir auf der Webseite des Quantum Flagship die Studien- und Qualifikationsangebote in Europa aufgelistet. Eine sehr gute Anlaufstelle ist zudem die „Quantum Futur Akademie“, ein Nachwuchsförderprogramm des BMBF für Studierende aus Deutschland und Europa, das wir während der deutschen Ratspräsidentschaft ausgeweitet und gemeinsam mit unseren europäischen Partnern durchgeführt haben. 

Info und weiterführende Links

Über den Interviewpartner

Markus Wilkens ist Senior Technologieberater beim VDI Technologiezentrum (VDI TZ) und verantwortet als Projektleiter die Aktivitäten bei der „Quantum Flagship“-Initiative, die das Thema Quantencomputing in Europa voranbringen möchte.

Über #TZExpertise

Im Interview-Format #TZExpertise geben Expert*innen aus dem VDI Technologiezentrum regelmäßig exklusive Einblicke in ihre jeweiligen Fachbereiche sowie relevante Fragestellungen.

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