Von der Forschung zum Fusionskraftwerk: Fortschritte und Zukunftsperspektiven
Die Kernfusion könnte zukünftig CO2-neutrale Energie in großem Umfang liefern und damit von entscheidender Bedeutung im Kampf gegen den Klimawandel sein. Doch wie weit ist die Forschung dazu? Über die Meilensteine und Herausforderungen in der Fusionsforschung sprach #TZExpertise mit Dr. Christian Busch, Senior-Technologieberater beim VDI Technologiezentrum (VDI TZ) und Fusionsexperte.
Hallo Christian, danke für deine Zeit. Erkläre doch einmal zu Beginn, was die Kernfusion als Energiequelle so besonders macht?
Kernfusion ist die Energiequelle, die Sterne zum Leuchten bringt und damit die wichtigste Energiequelle im Universum. Es ist die einzige noch nicht von Menschen erschlossene Primärenergiequelle. Und die Energie, die bei der Kernfusion freigesetzt wird, übertrifft den Energiegewinn durch Erneuerbare oder durch Verbrennungsprozesse von fossilen Energieträgern um mehrere Größenordnungen. Im Gegensatz zu anderen Energiequellen ist sie sicher, unerschöpflich, ressourcenschonend, sauber, da eben nichts verbrannt wird, und in der Lage, kontinuierlich elektrische Energie zu erzeugen.
Von der Nutzung der Fusionsenergie wird bereits seit Jahrzehnten gesprochen. Doch wo genau steht die Forschung dazu heute?
Es wird tatsächlich seit den 1950er Jahren an der Fusionsenergie geforscht. Aus technologischer Sicht ist es hoch kompliziert, Fusionsprozesse in Gang zu setzen und dann so zu kontrollieren, dass sie sich selbst aufrechterhalten. Grundsätzlich dominieren in der Forschung zwei Ansätze: die Erzeugung eines heißen Wasserstoff-Plasmas, welches mit starken Magnetfeldern eingeschlossen und kontrolliert wird, die Magnetfusion. Oder die Laserfusion, also das Beschießen kleiner gefrorener Wasserstoff-Pellets mit hochenergetischen Lasern.
Die Magnetfusion ist der am weitesten fortgeschrittene Ansatz. Hier gelangen bereits in den 1990er Jahren und zuletzt im Oktober 2023 in der Forschungsanlage JET bei Oxford Weltrekorde: zuletzt 69 Megajoule Fusionsenergie wurden erzeugt und damit die größte Energiemenge, die bisher in einem Fusionsexperiment erreicht wurde. Dafür waren lediglich 0,2 Milligramm Brennstoff erforderlich. Das waren zwar bereits Fusionsreaktionen, aber noch kein aus eigener Kraft brennendes Fusions“feuer“.
Diesen Durchbruch erzielte im Dezember 2022 die Laserfusion: dort gelang es Forschenden der National Ignition Facility (NIF) des Lawrence Livermore National Laboratory in Kalifornien erstmals, mehr Energie aus einer Fusionsreaktion zu gewinnen als sie zuvor durch Laserstrahlen hineingesteckt hatten. Jedoch ist die Gesamtenergiebilanz noch unzureichend, da der Betrieb der Laser noch 100 Mal mehr Energie verschlungen hatte.
Das sind beachtliche wissenschaftliche Meilensteine in der Fusionsforschung. Nun gilt es, sie zuverlässig zu reproduzieren. Auch reichen die eingesetzten Geräte und Technologien bei Weitem noch nicht für eine industrielle Anwendung in Fusionskraftwerken.
Es gibt also noch viel zu tun. Wann könnte das erste Fusionskraftwerk denn in Betrieb genommen werden?
Das ist eine beliebte Frage. Allgemein bin ich da vorsichtig bei Prognosen in dieser Richtung. Es gibt eben sehr viele Faktoren, die die Entwicklung der nächsten 20 bis 30 Jahre beeinflussen können, wie der konkrete Fortschritt in der Technologie, internationale Zusammenarbeit bei besonders komplexen Themen und die Entwicklung von Materialien, die den extremen Belastungen in einem Fusionsreaktor standhalten können.
Die neuesten Entwicklungen geben natürlich Anlass zur Hoffnung, dass die Umsetzung eines Fusionskraftwerks deutlich schneller voranschreiten könnte als bisher gedacht. In dem günstigen Fall, dass alle diese technologischen Hürden genommen werden, könnte es zur Mitte des Jahrhunderts ein Demonstrationskraftwerk oder sogar schon erste Prototypen verschiedener Konzepte geben, die bereits Strom ins Netz einspeisen.
Was muss deiner Meinung passieren, damit Deutschland und Europa im Bereich Fusionsenergie „dabei ist“?
Also, in der Fusionsforschung als Grundlagenforschung sind wir “dabei”, sehr gut sogar. So hat Deutschland die Koordination von EUROfusion, dem europäischen Konsortium aller europäischen Fusionsforschungseinrichtungen und ist als einziges Land mit drei Institutionen vertreten. Darüber hinaus betreibt Deutschland mit der Anlage Wendelstein 7-X in Greifswald das weltweit größte und fortschrittlichste Magnetfusionsexperiment vom Typ Stellarator.
Wenn die Frage aber bewusst auf Fusionsenergie abzielt, also einer wirtschaftlichen Anwendung in einem Kraftwerk, dann gibt es einiges zu tun, gerade für Deutschland und auch Europa. Dann braucht es zunächst mal eine starke Beteiligung der Industrie, um die beachtlichen Fortschritte der Forschung zu kraftwerkstauglichen Komponenten zu entwickeln. Wir brauchen viel mehr Nachwuchs und Spezialisten für diese Aufgaben. Wir brauchen klare Bekenntnisse aus der Politik und einen zukunftsfähigen und innovationsfreundlichen Rechtsrahmen, der insbesondere Unternehmen und Investoren die notwendige Planungssicherheit gibt. Dafür hat das BMBF Anfang des Jahres das neue Forschungsprogramm Fusion 2040 aus der Taufe gehoben, dessen zentrales Element die Verbundforschung zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und der Industrie ist. Die ersten Projekte auf unserem Schreibtisch zeigen, dass das bereits ganz gut funktioniert.
Damit Deutschland und Europa hier weiterhin attraktive Standorte bleiben, müssen wir diese Dinge weiterhin konsequent, mutig, und auch ein wenig risikofreudig angehen.
Wie sind wir in diesem Bereich aktiv?
Das VDI TZ spielt eine zentrale Rolle, einmal als klassischer Projektträger und einmal als Leitstelle beim Aufbau eines schlagkräftigen Fusionsökosystems. Als Projektträger setzen wir die Förderung des neuen Forschungsprogramms um, von der Beratung der Antragsteller, der Auswahl der Projektvorschläge und Begleitung der Verbundprojekte bis hin zur Verwertung der Ergebnisse. Wir stellen sicher, dass alle relevanten Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammengeführt werden und die Industrie bereits in einer sehr frühen Phase in Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Bereich der Fusionsenergie eingebunden ist und entsprechende Investitionen tätigt Zudem stellen wir die Weichen für den Fachkräftenachwuchs und das Community Building, organisieren Veranstaltungen, Konferenzen, Wettbewerbe und schaffen eine zentrale Plattform mit allen relevanten Informationen zur Fusionsforschung im Kontext der BMBF-Förderung. Dafür richten wir im Auftrag des BMBF eine Leitstelle für die Fusionsforschung ein, die zukünftig eine erste Anlaufstelle insbesondere für interessierte Wirtschaftsakteure sein soll.
Was fasziniert dich bei deiner Arbeit?
Immer noch das gleiche wie vor 22 Jahren, als ich mich dafür entschieden habe, in diesem Bereich meine Doktorarbeit anzufertigen: An einer völlig neuen Art der Energieerzeugung zu arbeiten, die die Energieversorgung der Menschheit revolutionieren könnte, weil sie so viele Vorteile aller bisher bekannten Energiequellen in sich vereint: sauber, kompakt, unerschöpflich. Aus der Sicht eines Physikers ist es außerdem total faszinierend, so ein kleines Sonnenfeuer in einer nur wenige Kubikmeter großen Kammer zu kontrollieren. Und daran hat sich nichts geändert. Es macht weiterhin sehr viel Spaß, bei diesen Entwicklungen direkt vorne mit dabei zu sein und diese Dynamik aus erster Reihe nicht nur beobachten, sondern auch mitgestalten zu können.
Vielen Dank für das Interview, Christian.
Über den Interviewpartner
Christian Busch hat am Forschungszentrum Jülich in der Fusionsforschung promoviert und beschäftigt sich beim VDI TZ seit 2021 als Senior-Technologieberater schwerpunktmäßig mit dem Thema „Kernfusion“.
Über #TZExpertise
Im Interview-Format #TZExpertise geben Expert*innen aus dem VDI Technologiezentrum regelmäßig exklusive Einblicke in ihre jeweiligen Fachbereiche sowie relevante Fragestellungen.