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Innovation Update

Mit Daten zu einer evidenzbasierten Forschungs- und Innovationspolitik

Eine Ausgabe des Innovation Update des VDI TZ zu den Potenzialen und Herausforderungen von Daten für die Forschungs- und Innovationspolitik.

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Mit Daten zu einer evidenzbasierten Forschungs- und Innovationspolitik

Ob Klimakrise, Ressourcenknappheit, Fachkräftemangel oder Digitalisierung – derzeit steht nicht nur Deutschland vor einer ganzen Reihe von Herausforderungen, deren Bewältigung einen tiefgreifenden Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft verlangt. Triebkraft für diesen Wandel sind Innovationen. Damit sind nicht nur innovative Produkte, Dienstleistungen, Herstellungsprozesse und Geschäftsmodelle gemeint, sondern auch neuartige Formen des Zusammenlebens und der Art, wie wir uns als Gesellschaft organisieren.

Forschungs- und Innovationspolitik hat zum Ziel, diese Transformation zu gestalten. Jährlich stellt der Bund rund 24 Milliarden Euro zur Verfügung, um Forschung und Innovation in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern.1 Um diese Steuergelder möglichst gewinnbringend einzusetzen, ist eine belastbare Datenbasis als Entscheidungsgrundlage notwendig, die Wirkungszusammenhänge aufzeigt und der Politik Steuerungsinstrumente an die Hand gibt.  

Infobox: Evidenzbasierung

Evidenzbasierung beinhaltet, staatliche Maßnahmen an den besten verfügbaren und allgemein anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren.2 Evidenzbasierung bedeutet zudem, öffentliche Gelder und Regulierungen so einzusetzen, dass gesellschaftliche Ziele, auf die sie gerichtet sind, erreicht werden.3

Die Möglichkeiten, Daten auszuwerten, haben in den letzten Jahren rapide zugenommen. Dennoch bleibt es eine Herausforderung, datenbasierte Politik in der Praxis umzusetzen: Datenschätze bleiben häufig ungenutzt, relevante Indikatoren lassen sich oft nur schwer erheben und selbst wenn alle Informationen zur Verfügung stehen, fließen datenbasierte Erkenntnisse oft nicht in das Kalkül von politischen Entscheidungsträger*innen ein. Abhilfe könnten in all diesen Fällen Prozesse schaffen, die die Einbeziehung von Daten institutionalisieren.

Im politischen Geschäft wird Evidenzbasierung auch selbst ein Politikum: Zwar können Evidenzbasierung und Daten politische Entscheidungen legitimieren und die Transparenz von Entscheidungsprozessen erhöhen. Gleichzeitig kann Evidenzbasierung auch zu einer stärkeren Kontrolle und kritischen Betrachtung politischer Maßnahmen führen – was nicht immer von allen Akteuren erwünscht ist. Regierungs- und Oppositionsparteien haben hier teilweise unterschiedliche Interessen.

Warum evidenzbasierte Politik Daten benötigt

Es gibt gleich mehrere Gründe, die für eine stärker evidenzbasierte Politik und einen zunehmenden Einsatz von Daten sprechen. Nachfolgend sind die Wesentlichen aufgeführt.

Grundlage für kompetente Beratung

In einem evidenzbasierten politischen Entscheidungsprozess orientieren sich staatliche Maßnahmen an der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnis. Doch auch wissenschaftliche Erkenntnis basiert auf Daten – quantitativen ebenso wie qualitativen. Gerade „praxisnahe“ Daten wie Register- und Verwaltungsdaten, also Daten, die der öffentlichen Hand theoretisch bereits vorliegen, können zentrale wissenschaftliche Erkenntnisse liefern.

So setzt sich beispielsweise seit 2004 der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD) dafür ein, bestehende Daten, insbesondere aus der Verwaltung, für die Wissenschaft besser zugänglich zu machen. In Deutschland gibt es insgesamt 41 vom RatSWD akkreditierte Forschungsdatenzentren. Dennoch beklagen Forscher, dass ein einfacher Zugang zu aktuellen Daten fehlt, um der Politik empirisch belegte Empfehlungen zu drängenden Problemen geben zu können.4

Erfolgsmessung in der Innovationsförderung

Daten können über den gesamten Lebenszyklus der Innovationsförderung helfen, den Maßnahmenerfolg und damit den verantwortungsvollen Einsatz öffentlicher Fördergelder zu verbessern.

Auswahl geeigneter Fördermaßnahmen

Für politische Entscheidungstragende in Regierungen, Ministerien, nachgeordneten Behörden und auf kommunaler Ebene sowie gewählte Volksvertreterinnen und Parteipolitiker sind Daten die Grundlage, um zu evaluieren, welche Fördermaßnahmen oder Richtlinien sinnvoll und zielführend sind. Etwa um herauszufinden, welche Zielgruppe in welcher Region, Branche oder Forschungsdisziplin gezielte Innovationsförderung benötigt oder besonders davon profitieren kann. Oder um zu erkennen, welche Zukunftstechnologien schon heute gefördert werden sollten.

Bereits im Vorfeld einer Maßnahme braucht die Politik daher Einschätzungen zu den zu erwartenden Auswirkungen (Ex-ante-Evaluierung).Dazu muss sie das Umfeld möglicher Fördermaßnahmen verstehen und abschätzen können, wie eine Maßnahme ausgestaltet sein muss, um die beabsichtigten Wirkungen und die gewünschten Ziele zu erreichen.

Begleitendes Monitoring und Nachschärfung

Personen mit Entscheidungsbefugnis sollten auch bestehende Maßnahmen der Innovationsförderung kritisch begleiten und evaluieren, um bei Fehlentwicklungen frühzeitig gegensteuern zu können. Hilfreich beim Monitoring können etwa Dashboards sein, die relevante Daten „in Echtzeit“ erfassen und es so möglich machen, bereits laufende Maßnahmen nachzuschärfen und weiterzuentwickeln.

Ziele erreichen und Erfolge kontrollieren

Eine Erfolgskontrolle nach Projektende gibt Aufschluss, in welchem Umfang Innovationsförderung die gewünschten Ziele tatsächlich erreicht hat.Auch hierfür sind Daten eine wesentliche Grundlage. Idealerweise sollte die Erfolgskontrolle bereits zu Beginn der Fördermaßnahme mitgedacht werden. Häufig führen externe Dienstleister bzw. unabhängige Dritte diese Ex-post-Evaluation durch, um Interessenkonflikte auszuschließen. Die Ergebnisse der Evaluation fließen wiederum in die Planung, Organisation und Durchführung zukünftiger Förderprogrammen und helfen, diese besser zu gestalten.

Handlungsempfehlungen

Die Vorteile evidenzbasierter Entscheidungen sind also deutlich erkennbar. Damit das volle Potenzial von Daten systematisch erschlossen werden kann, muss an folgenden Stellschrauben angesetzt werden.

Datenschutz und Datennutzung gemeinsam denken

Datenschutz ist einerseits ein hohes Gut. Andererseits kann die Nutzung von Daten für wissenschaftliche Zwecke und politische Entscheidungen teilweise Leben retten und den Alltag der Bürger und Bürgerinnen positiv beeinflussen. Daher muss das Verhältnis zwischen Datenschutz und ‑nutzen ständig neu austariert werden. In der Corona-Pandemie hat auch Deutschland von aktuellen Daten aus dem Vereinigten Königreich, Skandinavien oder Israel profitiert, die hierzulande – nicht zuletzt wegen Datenschutzbedenken – nicht in der nötigen Menge und Qualität verfügbar waren.

Das Spannungsverhältnis zwischen Erkenntnisgewinn und Datenschutz wird gerade auch bei der Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Quellen deutlich. Diese ist ganz entscheidend, um Ursache-Wirkungszusammenhänge feststellen und zufällige Korrelationen ausschließen zu können. Je mehr Daten verknüpft werden, desto größer ist der potenzielle Erkenntnisgewinn, gleichzeitig lassen sich dann schneller Rückschlüsse auf konkrete Personen oder Unternehmen ziehen. Abhilfe können intelligente Anonymisierungskonzepte schaffen, die Forschung bei Wahrung von Persönlichkeitsrechten und Geheimhaltungspflichten ermöglichen.

Zu oft entsteht in der öffentlichen Diskussion der Eindruck, dass Datennutzung und ‑schutz sich als unvereinbares Gegensatzpaar gegenüberstehen. Viel zielführender wäre es darauf zu schauen, wie das Beste aus beiden Welten kombiniert werden kann. Der Datenschutz muss einen Rahmen bilden, der verantwortungsvolle Forschung ermöglicht, statt sie zu verhindern. Gleichzeitig muss er der Bevölkerung die Gewissheit geben, dass ihre Daten in vertrauensvollen Händen liegen.

Datenkompetenz auf Entscheidungsebene systematisch aufbauen

Daten können Entscheidungen unterstützen und verbessern. Aber reale Daten sind nicht perfekt, weisen Verzerrungen auf oder haben Lücken. Datenauswertungen gehen mit Modellannahmen einher, die in der echten Welt (meist) nicht erfüllt sind. Daher brauchen Entscheidungstragende im Innovationssystem ein hohes Maß an Datenwissen, um die richtigen Schlüsse aus der verfügbaren Evidenz ziehen zu können.

Akteure wie Projektträger mit ihrer Kompetenz an der Schnittstelle von Daten und inhaltlichem Verständnis des Innovationssystems können eine Schlüsselrolle bei der Beratung, welche Daten für welche Analysen geeignet sind, einnehmen. Darüber hinaus sollten die Grundlagen im Umgang mit Daten sowie das Wissen um die Möglichkeiten und Limitationen von Schlussfolgerungen aus realen Daten bereits in der Schule stärker vermittelt werden.

Übergreifendes „Dateninventar“ erstellen

„Selbst ein Überblick darüber, welche Daten bei welcher Behörde und in welchem Format überhaupt vorliegen (sog. ‚Datenlandkarte‘), existiert derzeit weder für Ministerien noch für die Bundesverwaltung als Ganzes.“ (Datenstrategie des Bundes 2021)

Daten können nur dann systematisch in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden, wenn alle Beteiligten wissen, welche Daten überhaupt verfügbar sind und unter welchen Bedingungen sie genutzt werden können. Ein Dateninventar kann diesen Überblick bieten und sollte alle Daten einschließen, die in Verwaltungsregistern, bei Projektträgern und anderen Innovationsakteuren vorliegen. Zudem sollte hinterlegt sein, wer für welche Zwecke und in welchem Umfang diese Daten nutzen darf. Das geplante Dateninstitut könnteein solches Dateninventar koordinieren.

Austausch zwischen Akteuren fördern

Für viele Maßnahmen ist ein effizienter Austausch zwischen den beteiligten Akteuren wichtig. Das fängt bei der Erstellung eines aussagekräftigen Dateninventars an: Welche Akteure haben welche Bedarfe bzw. können welche Daten liefern? Dies geht über die Klärung technischer Fragen bei der Schaffung einer Daten- und Programmierumgebung (Welche Datenformate sind zu nutzen? Welche technische Infrastruktur soll genutzt werden?)bis zu der Frage, wie das Verhältnis zwischen Datennutzung und Datenschutz ausgestaltet sein sollte.

Alle Akteure müssen frühzeitig und angemessen in den Dialogprozess eingebunden werden. Das beinhaltet verschiedene Ebenen der Verwaltung (auch auf kommunaler Ebene), die Wissenschaft, Projektträger, aber auch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft. Für diesen Austausch ist ein institutioneller Rahmen unabdingbar, der mit einem entsprechenden Budget hinterlegt ist. Themen werden unter anderem Datenformate und der Datenaustausch sein.

Maßnahmenziele operationalisieren

Häufig sind Ziele von Innovationsmaßnahmen nicht hinreichend operationalisiert – es bleibt unklar, wie die Zielerreichung anhand konkreter Indikatoren gemessen werden kann. Mit neuen Gesetzen und Verordnungen sollte noch konsequenter gleichzeitig die Erhebungsgrundlage für diejenigen Indikatoren geschaffen werden, die für das Monitoring, die Weiterentwicklung und die Erfolgskontrolle der Maßnahme notwendig sind. Auch in diesem Prozess sollten Projektträger als zentrale „Datenerzeuger“ des Innovationssystems eingebunden sein. Öffentliche Aufträge und Ausschreibungen müssen noch systematischer als bisher ein entsprechendes Budget für die Datenerzeugung und Datenverarbeitung veranschlagen.

 

Fazit

Innovationen sind von zentraler Bedeutung, um gesellschaftliche Transformationsprozesse bewältigen zu können, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen kommt. Daher müssen wir unser Innovationssystem weiter verbessern und dafür Sorge tragen, dass die eingesetzten Fördergelder möglichst gewinnbringend eingesetzt werden. Evidenzbasierung kann hierbei bereits vor Beginn einer Fördermaßnahme, während der Durchführung der Maßnahme und im Nachgang einen wesentlichen Beitrag leisten, um vorhandene Effizienzpotenziale zu heben. Interessenkonflikte zwischen Datenschutz und Datennutzung müssen aufgelöst werden und die Datenkompetenz der Personen mit Entscheidungsbefugnis gestärkt werden. Die erforderliche Dateninfrastruktur sollte in einem dialogisch angelegten Prozess, der alle Beteiligten einbezieht, schnellstmöglich aufgebaut werden.

Ihre Ansprechpersonen

Dr. Annerose Nisser

E-Mail: nisser@vdi.de

Dr. Oliver Arentz

E-Mail: arentz@vdi.de

Quellen und weiterführende Links

[1] Bundesbericht Forschung und Innovation (https://www.datenportal.bmbf.de/portal/de/K11.html, „Ausgaben des Bundes für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung nach Förderarten“) Soll 2021. Der Bund gibt für Forschung und Entwicklung (FuE) insgesamt 23,978 Mrd. € aus (rd. 23 % der gesamten FuE-Ausgaben Deutschlands). Diese 24 Mrd. € finanzieren FuE-Ausgaben in den Sektoren Wirtschaft, Hochschulen und Staat mit. 

[2] Plozza, Monika (2021). Evidenzbasierte Politik ist ein Menschenrecht.  https://verfassungsblog.de/evidenzbasierte-politik-ist-ein-menschenrecht/

[3] Vgl. https://www.leopoldina.org/themen/evidenzbasierte-politikgestaltung/politikgestaltung-22/

[4] Bachmann, Peichl, Riphan, Bessere Daten – bessere Politik, FAZ vom 6.8.21 https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/forschern-stehen-in-deutschland-zu-wenige-daten-zur-verfuegung-17471899.html zuletzt abgerufen am 06.12.2022)

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